Woyzeck interrupted

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Ein Kammerspiel im Klassenzimmer

In einer irritierend aktuellen Inszenierung kam Georg Büchners Dramenfragment Anfang November im Grundkurs Deutsch von Frau Münch auf die Leinwand. Zwei Rezensionen dazu findet ihr/finden Sie hier:

Rezension I (von Nana)

Rezension II (von Lilly)

 

Woyzeck interrupted – Eine Rezension von Nana

Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani sind die Autoren des Theaterstücks Woyzeck interrupted, welches sie an Georg Büchners Drama Woyzeck anlehnen, jedoch durch eine moderne Inszenierung völlig neu darstellen.
Die Regie wurde von Amir Reza Koohestani selbst geführt unter Assistenz von Martin Zimmermann und Marike Moiteaux. Trotz der Anlehnung an Büchners Original ist den Autoren ein authentisches und zum heutigen Zeitalter passendes gelungen, dessen Inhalt im Programmheft des Herausgebers "Deutsches Theater Berlin" wie folgt beschrieben wird:

In den Hauptrollen sind Lorena Handshin als Marie und als Woyzeck Enno Trebs zu sehen, die ihre Rollen überzeugend und authentisch spielen. Figuren aus Büchners Drama, die neben Marie und Woyzeck agieren, werden in der Inszenierung nicht verkörpert oder ausschließlich als körperlose Stimmen eingebunden. Diese Entscheidung ist eine drastische Reduzierung, die jedoch für den notwendigen Fokus auf die Hauptakteure und das Überthema, Femizide, sorgt.
In ihrer Neuinszenierung verbinden die beiden Autoren die Umstände der Pandemie mit der angespannten Beziehung zwischen Woyzeck und Marie sowie ihrem Anstoßpunkt für das Theater, die musterartig auftretenden Frauenmorde. Schlagzeilen aus Zeitungsberichten zu struktureller Gewalt im Privaten werden verteilt über die Szenen wiederholt von einer weiblichen Stimme monoton eingesprochen.
Im Zusammenspiel mit kaltem Licht im Bühnenbild und einer kargen Einrichtung wird durchgängig eine distanzierte Stimmung erzeugt, die durch experimentelle Lichtinstellationen und vergrößernde Monitore um eine aufreibende Mystik ergänzt wird. Die Entscheidung zur Reduktion scheint der Erfolg von Woyzeck interrupted zu sein. Ausschließlich zwei Akteure, ein drei Räume umfassendes Bühnenbild und nur wenige übernommene Szenen machen das Theater fesselnd.
Woyzecks abgewandelter Mord an Marie, durch einen Stoß von der Dachkante, bildet ein überraschendes Ende, das das Publikum überrumpelt und mit Material zum Nachdenken zurücklässt.

Woyzeck interrupted ist eine eigenwillige und moderen Inszenierung, die den Inhalt eines in die Jahre gekommenen Dramas in die heutige Zeit versetzt und somit wieder aktuelle macht. Sie weist auf bestehende Missstände in der heutigen Gesellschaft hinund tut dies auf einem kreativen und durchaus ansprechenden Weg.

 

WOYZECK – Heikel und authentisch, aber anders – Eine Rezension von Lilly

"Mit seinem Gewicht von 103 Kilo setzt er sich auf den Oberkörper seiner Freundin – einer zierlichen Frau, drückt mehrere Minuten ihren Hals mit den Händen zu. Er versteckt ihre Leiche in einer Kellerruine, die er noch vom Spielen aus seiner Kindheit kennt. Ihre Leiche wird erst nach wochenlanger Suche gefunden."
Dies sind die Worte, mit denen das Kammerspiel Woyzeck Interrupted beginnt, welches unter der Regie von Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani zum ersten Mal am 17. September 2021 im "Deutschen Theater Berlin" aufgeführt wurde.
Es basiert auf dem Dramenfragment Woyzeck von Georg Büchner, das jedoch kein Werk über häusliche Gewalt gegen Frauen darstellt, auch wenn ein Frauenmord vorkommt. Im Buch ersticht der Protagonist Woyzeck seine Affäre Marie aus Eifersucht mit einem Messer und lässt sie blutend an einem See zurück. Ein fiktiver Mord, der zur Entstehungszeit des Dramas für Aufruhr sorgte. Das ist heutzutage jedoch fester Bestandteil unseres Alltags, da durchschnittlich alle drei Tage eine Frau von ihrem Mann oder Ex-Mann ermordet wird.
Im Theaterstück dagegen steht alles im Zeichen der Unterbrechung, was selbst der Titel repräsentiert. Die Affäre von dem Hauptdarsteller Woyzeck und Marie wird unterbrochen, sowie deren Schwangerschaft. Zudem finden auch jegliche Zukunftsphantasien von einem gemeinsamen Leben mit einem Kind ein jähes Ende. Das Paar, das kein Paar mehr ist, sein darf und vielleicht auch nie wieder wird, ist durch die globale Pandemie während des Lockdowns in einer Wohnung eingesperrt und wird zwangsläufig miteinander konfrontiert.

Die Theateraufführung von Woyzeck Interrupted unterscheidet sich von anderen Aufführungen, da das Bühnenbild einem Puppenhaus oder sogar einem aufge- schnittenen Haus ähnelt, bei dem eine Hauswand fehlt. Man kann problemlos in alle Räume gleichzeitig gucken. Es befinden sich dabei verschiedene Räume auf mehreren Ebenen. Meiner Meinung nach ist dieses Konzept clever gewählt, da es die Problematik des Stücks untermalt. Femizide, also Frauenmorde, aber auch Frauen als Opfer häuslicher Gewalt sind heutzutage ein fester Bestandteil unseres Lebens und oft nicht sichtbar. Dabei können sie theoretisch überall passieren und auftreten – also vielleicht auch gerade bei deinen Nachbarn zwei Stockwerke unter dir, ohne, dass man den leisesten Schimmer hat. Das puppenhausartige Bühnenbild gewährt einen authentischen Blick in das Privatleben eines jungen Paares, den man normalerweise nicht gestattet bekommt.
Zu Beginn des Stücks ist alles in eher frischen und sauberen Farben gehalten: Das Paar trägt frische, weiße (und teilweise auch gelbe) Kleidung und die Räume werden durch warmes Licht angestrahlt. Der Fokus liegt durch die schlichte und moderne Kleidung auf den Personen an sich, was positiv zu bewerten ist und nicht von der eigentlichen Intention des Stücks ablenkt.
Ab der Mitte des Stücks bis zum Ende hin ist das gesamte Bild in gedeckteren und eher düsteren Farben gehalten. Dadurch wirkt alles bedrohlich, dunkel und trist. Die sichtbetonten, grauen Wände werden gen Ende von blauem Licht aus dem Fernseher oder FaceTime-Sitzungen per Computer geflutet. Es ist also im Gegensatz zum warmen, gelben Licht am Anfang, nun blau, kalt und distanziert. Das könnte zum einen auf die ärmeren Verhältnisse des Paares hindeuten oder auf die langsam, aber sicher schwindende verhältnismäßige Stimmung bzw. Atmosphäre zwischen den beiden Protagonisten. An dieser Stelle möchte ich sagen, dass dies natürlich hervorragend zum Kontext der Thematik passt, da Femizide kein buntes und fröhliches Thema sind, aber ab einem gewissen Zeitpunkt wird das kaum wechselnde Farbschema sehr monoton und erschwert es einem, sich auf die weitere Handlung konzentrieren zu wollen.
In Bezug auf Licht und Ton kann man sagen, dass die Beleuchtung einem bei dem flickenartigen Bühnenbild bei der Orientierung hilft und den nötigen Fokus setzt. Darüber hinaus reflektiert das Licht die Farbe. Das hilft dem Zuschauer, da er weiß, wie er die Situation einordnen soll. Bei dem Ton sieht das meiner Meinung jedoch schon etwas anders aus, denn das Stück beginnt mit einer weiblichen, kaum verständlichen Bahnhofsstimme aus dem Off, die von einer zitternden Stadtlandschaft in schwarz-weiß begleitet wird. Der Einstieg war allerdings viel zu lang, man hätte sich am liebsten die Fernbedienung genommen und einfach vorgespult. Im Nachhinein macht jedoch auch das Intro Sinn, da es den neutralen und gespannten Betrachter nervös und unausgeglichen macht. Demnach also die ideale Vorbereitung auf den darauffolgenden Beitrag eines Frauenmordes.
Der Ablauf wird regelmäßig von einer Stimme aus dem Off unterbrochen, die jedes Mal einen Mord auf eine unterschiedliche Art und Weise an Marie verkündet, der jedoch nicht in der realen Welt, sondern in der Wunschvorstellung Woyzecks stattfindet.
Die beiden Protagonisten Marie und Woyzeck werden von den Schauspielern Lorena Handschin (Marie) und Enno Trebs (Woyzeck) gespielt. Marie ist eine junge, selbstbewusste und vielleicht sogar etwas schnippische Frau, die oft und gerne ihre Meinung vertritt und kundtut. Über digitale Geräte verliert sie sich auch gerne Mal in Frauengesprächen mit ihrer Freundin, zum Beispiel über den Tambourmajor. Woyzeck ist ihr besessener, fanatischer Ex-Freund, den sie vergeblich auf Abstand zu halten versucht. Er wird von psychischen Problemen geplagt und hört Stimmen, über die er bei seinem Psychotherapeuten spricht. Dabei tendiert er auch gerne mal dazu, in die Rolle eines Kindes zu geraten, und kommt schnell in die Lage, sich über banale und abstrakte Kleinigkeiten aufzuregen. Man kann sagen, dass die beiden Schauspieler treffend ausgewählt wurden, da es ihnen gelingt, ein modernes und dynamisches Paar zu verkörpern.
Es wurde eine ausgesprochen überzeugende Kreuzung aus moderner, heutiger Sprache und der älteren Sprache aus dem Buch, die in Form von zufällig wirkenden, einzelnen Gedankenfetzen Woyzecks auftritt, verwendet. Das hilft einem nicht nur, die doch recht veraltete Sprache besser zu verstehen, sondern es wird auch ein stetiger Bezug zum Buch hergestellt.
Ich hatte das Gefühl, dass man direkt Teil des Geschehens ist und mit im Raum sitzt. Das ist eventuell auch durch die offenen Räume zu begründen. Es liegt meiner Meinung jedoch primär daran, dass man einen hundertprozentig ungefilterten emotionalen Einblick in das Zusammenleben eines authentisch wirkenden Paares bekommt. Außerdem denke ich, dass man nach einer Weile anfängt, die schlechte und depressive Stimmung zu übernehmen, da sie durch Bühnenbild, Ton, Licht sowie emotionale Beiträge der Darsteller wortwörtlich auf die Zuschauer übertragen wird. Das war auch die Stimmung, die ich innerhalb des Kurses wahrgenommen habe. Es war für ein paar Augenblicke sehr ruhig und man fühlte sich in der Lage, die gesammelten Eindrücke auf sich wirken lassen zu müssen.

Im Gegensatz zu dem Buch, bei dem das Ende unglücklich für Marie ausgeht, ist in dem Theaterstück kein eindeutiges Ende festzustellen, denn es lässt sich nur vermuten, wie die Handlung ausgeht, da Marie nicht blutend und dem Tode nahe am Teich liegt und hilflos dem Ende entgegentritt. Im Kammerspiel stampft Marie, dem heutigen Zeitalter entsprechend, aus der Tür. Das ist eindeutig als ein Akt der Emanzipation einzustufen und steht damit im Kontrast zu dem Original. Dabei ist zu betonen, dass es den beiden Regisseuren gelungen ist, die Thematik aus der Ecke hervorzuzerren und die Zuschauer zu ermutigen, offen darüber zu sprechen. Es ver- deutlicht den Frauen, die gegebenenfalls selbst Opfer von sexuellen Übergriffen sind und natürlich auch allen anderen Menschen, dass das mittlerweile ein weit verbreitetes Problem ist, welches angesprochen werden sollte. Somit könnte man auch meinen, dass das Ende, welches deutlich in den Gedanken der Audienz nachhallt, sich an jene richtet, die sich nicht trauen; es sich nicht leisten können oder einfach nicht wollen, dass man ebenfalls einen "Akt der Emanzipation" verkörpern darf und sich im Sinne des heutigen Zeitalters bewegen darf.

Zusammenfassend man man sagen, dass das Kammerspiel Woyzeck Interrupted durchaus gelungen, wenn auch an einigen Stellen etwas monoton geraten ist. Es ist modern und spricht aktuelle gesellschaftliche Probleme an, über die man sich in der Regel nicht traut, zu sprechen. Es ist emotional und dynamisch und regt den Betrachter dazu an, sein eigenes Handeln zu überdenken bzw. zu reflektieren, und spricht ein heikles, aber leider auch derzeitiges Problem an, was für viele Menschen zum Alltag gehört.

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